Menschen haben die Fähigkeit, Erlebnisse und Emotionen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht verarbeitbar sind, abzuspalten. Auf diese Weise wird ein Weiterleben und Funktionieren im Alltag möglich, auch wenn starke Emotionen aktiviert sind. Die Erinnerung gerät in Vergessenheit und die Emotion bleibt wie in einer verschlossenen Kapsel in unserem Körper gespeichert.
Abgespalten kann zum Beispiel die Emotion bei einem traumatischen Erleben wie einem Unfall oder dem Tod eines nahestehenden Menschen werden. Das kann aber auch durch harmlosere Situationen hervorgerufen werden: z. B. wenn das Lieblingsstofftier eines Kindes vergessen wurde, durch einen Konflikt, der nicht gelöst werden konnte, durch das Gefühl von Verlassenheit, durch Ängste, unerfüllte Bedürfnisse und vieles mehr.
Es kann sein, dass eine solche Situation in unseren bewussten Erinnerungen auftaucht, wenn wir uns Zeit nehmen, innehalten, meditieren oder über uns nachdenken. Viel wahrscheinlicher ist es aber, dass sich die Erinnerung durch Gefühle bemerkbar macht, durch innere Eindrücke und Wahrnehmungen, die irgendwie nicht zu der Situation passen, in der wir uns gerade befinden.
Unser Alltag im Hier und Jetzt wird uns manchmal herausfordern. Doch können wir meist in Kenntnis unserer Kompetenzen und Ressourcen gut damit umgehen. Dann gibt es jedoch sogenannte Kleinigkeiten, die uns unvermutet völlig aus dem Gleichgewicht werfen. Das nicht funktionierende Auto, der zu spät kommende Freund, der Zeitungsartikel, die kleine Verletzung, das Chaos in der Wohnung, … Plötzlich reagieren wir auf eine Art und Weise, die uns später – bei genauerer Betrachtung – völlig übertrieben erscheint.
Eine solche Überreaktion könnte ein Hinweis auf einen verborgenen Anteil von uns selbst sein. Möglicherweise meldet sich ein jüngerer Anteil, der in den Schatten geraten ist, weil bei einem früheren Ereignis keine Verarbeitung der damals entstandenen Emotion möglich war. Sobald wir uns dieses Zusammenhangs bewusst werden, können wir unsere Reaktion verändern. Es spielt dabei keine Rolle, ob wir eine Ahnung davon haben, wann und wo dieses Gefühl entstanden sein könnte und ob es eine Erinnerung an das einschneidende Ereignis gibt. Wichtig ist nur die Annahme, dass wir es hier mit Emotionen zu tun haben, die nicht aus dem Hier und Jetzt kommen.
Das Unbewusste strebt immer nach Harmonie und Heilung. Daher wird es uns auch immer wieder in Situationen bringen, die uns auf alte, abgespeicherte und abgekapselte Emotionen aufmerksam machen, damit wir sie bearbeiten können. Auch wenn dadurch alte Schmerzen wieder aufgerufen werden, so ist dies ein Versuch, die verdrängten Anteile, die uns unter der Wasseroberfläche viel Kraft kosten, heraufzuholen und bewusst zu machen. Wenn wir erkennen, dass es sich „nur“ um Erinnerungen handelt, können wir viel leichter eine Lösung finden.